Die peinliche Selbstinszenierung der CDU bei der Regionalkonferenz
in Heidelberg zeigt, wie verzweifelt diese Partei sein muss, die es
nicht schafft, sich von der Kanzlerin zu trennen und einen sauberen
Schnitt hinzulegen. Und da die zahn- und rückgratlosen Vasallen in der
Umgebung der Kanzlerin sich nicht mehr trauen, eine offenes Wort zu
sprechen, und die dies gekonnt hätten, wurden von Merkel vor langem
entsorgt, ersetzen absurde Inszenierungen die politische
Auseinandersetzung.
Ein fein rausgeputzter kleiner Flüchtlingsjunge, der auf wundersame Weise perfekt deutsch spricht, muss dafür herhalten, Merkels Geseiere unter Tränen hervorzuheben. Am Ende will er des Führers Hände schütteln. Parteitag absurd. Das grenzt an Kindesmißbrauch.
Ein fein rausgeputzter kleiner Flüchtlingsjunge, der auf wundersame Weise perfekt deutsch spricht, muss dafür herhalten, Merkels Geseiere unter Tränen hervorzuheben. Am Ende will er des Führers Hände schütteln. Parteitag absurd. Das grenzt an Kindesmißbrauch.
Der Ton des alten Mannes am Mikrofon klingt ganz
ruhig, seine Worte sind dagegen schneidend scharf. „Frau
Bundeskanzlerin, treten Sie zurück“, fordert Ulrich Sauer aus Karlsruhe
und schaut zur CDU-Vorsitzenden hoch, die vor ihm auf dem Podium in der
Heidelberger Stadthalle sitzt. In der Flüchtlingskrise habe die
Kanzlerin versagt und einen „deutschtümelnden Wahn“ ausgelebt. Aber
während sich unter den CDU-Vertretern aus den Landesverbänden Saarland,
Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Hessen bereits Unruhe und
Empörung ausbreitet, bleibt die Kanzlerin stoisch ruhig.
Auch der baden-württembergische Landesvorsitzende Thomas Strobl
bittet als Gastgeber ausdrücklich, den Mann ausreden zu lassen. Nur als
der Merkel dann auch noch vorwirft, ihr sei wohl die Vergewaltigung
einer Frau in Heilbronn gleichgültig, schaut sie nach unten und muss
schlucken.
Aber die CDU-Vorsitzende hatte wohl schon geahnt,
dass die üblichen Regionalkonferenzen vor dem CDU-Bundesparteitag
kommende Woche keine leichte Übung werden. Es wirkt wie ein Trost für
sie, dass sofort nach Sauer ein Konrad Reuters aus Illingen spricht, der
wie der Gegenentwurf zu seinem Vorredner wirkt: Er lobt als
freiwilliger Helfer nicht nur die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin,
sondern hat auch den aus Afghanistan stammenden kleinen Edris
mitgebracht, der Merkel auf Deutsch dankt. Die zweite Regionalkonferenz
erlebt ihren emotionalen Höhepunkt, als der Kleine die Hand der
Kanzlerin schütteln will, sie von der Bühne kommt – und Edris dann vor
Aufregung die Tränen kommen.
Das löst die zuvor angespannte Stimmung in der Halle, und Merkel
wandelt den Angriff gegen sie in eine Erlebniserfahrung Volkspartei um.
„Mit Herrn Sauer und Herr Reuters haben Sie die gesamte Spannbreite
gesehen, mit der in unseren Familien und der Gesellschaft diskutiert
wird“, erklärt sie den Zuhörern. Und an Herrn Sauer gerichtet beschreibt
sie noch einmal sehr ruhig, warum sie 2015 so gehandelt hat. „Ich bin
es Ihnen auch schuldig, zu sagen, was ich denke“, fügt sie hinzu.
Ansonsten erntet sie nur freundliche Worte und Unterstützung wie schon
in Neumünster am Freitag.
Letztlich wirkt der Abend in Heidelberg wie ein Symbol für das, was
ihr und wohl allen Parteien im Bundestagswahl 2017 bevorsteht. „Das
wird kein Kuschelwahlkampf, sondern ein harter Kampf“, warnt auch
Strobl. Seit Wochen mahnt Merkel ihre Parteispitze, dass es dabei
entscheidend auf den Ton ankomme, um die von Rechts- und Linksaußen nur
gewünschte Polarisierung zu verhindern. „Diese Art von Wahlkampf will
ich nicht“, betont sie mit Verweis auf den hasserfüllten
US-Präsidentschaftswahlkampf und erntet in Heidelberg großen Applaus.
Merkel entschuldigt sich für das Wort „disruptiv“
Ein Zuhörer mahnt, das beste Mittel gegen Populisten sei es, auf
die Leute zuzugehen. Er hätte dafür gerne ein Set an griffigen Slogans
wie „fördern und fordern“, mit denen man Politik auch gut erklären
könne. Prompt lädt Merkel ihn nach Berlin ein – als „Testperson“, was
sie nach Lachern im Publikum als ganz ernst gemeint bezeichnet. Denn sie
selbst hat gerade begonnen, ihre oft als technokratisch kritisierte
Sprache für die Wahlkampfphase auszumisten. Schon bei der ersten
Regionalkonferenz in Neumünster hatte sich Merkel am Freitagabend
entschuldigt, dass das von ihr zuletzt häufig verwendete Wort
„disruptiv“ doch etwas „elitär“ sei. „Wir sind ja auch manchmal zu
verkopft“, gibt sie in Heidelberg selbstkritisch zu. Also Merkel in
einem Atemzug mit Elite zu nennen, grenzt schon an Größenwahn.
Aber Zugehen auf die Basis heißt für Politiker heute eben, nicht
nur die Sauers, sondern auch Egozentrikern auszuhalten. In Heidelberg
etwa kreisen viele Fragen zwar um Sachthemen wie Rente, Europa oder
Teilhabegesetz. Aber gleich der erste Frager stellt die Organisatoren
auf eine harte Probe, weil er erst vier Minuten am Pult und dann
mehrfach Ruhe verlangt. Strobl lässt den Mann gewähren, der sich der
„deutsche Donald Trump“ nennt – und dessen Hauptbotschaft am Ende ist,
dass es CDU-Anstecknadeln wirklich „für jede Kleidung passend“ gibt.
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